Die US-Amerikaner Everdawn haben unlängst ihr sensationelles Debüt-Album „Cleopatra“ veröffentlicht. Ein großartiges, kraftvolles und fantastisch komponiertes Symphonic-Metal-Meisterwerk, das seines Gleichen sucht. Warum es aber eigentlich gar nicht ganz richtig ist, diese Scheibe als Debüt zu bezeichnen, erfahrt ihr hier. 9/10

Ich habe „Cleopatra“ schon seit gut 3 Monaten bei mir rumliegen, in einem Stapel neuer Alben, der kaum kleiner wird. Es gibt aktuell einfach viel zu viele gute Neuerscheinungen. Nun hab ich aber endlich die Zeit gefunden, diesem herausragenden Album die Aufmerksamkeit zu widmen, die es zweifelsohne verdient. Ich hatte in der Headline schon geschrieben, dass „Cleopatra“ eigentlich gar kein richtiges Debüt ist. Nun, unter dem Bandnamen Everdawn ist es das sehr wohl aber hinter dieser großartigen Band verbergen sich eigentlich, die ehemaligen Midnight Eternal, die vor 5 Jahren ein grandioses Erstlingswerk veröffentlicht haben. In den Vorbereitungen zum zweiten Album, kam es damals zum Zerwürfnis mit Original-Sängerin Raine Hilai, was dann abschließend sogar zur Folge hatte, dass man sich umbenennen musste. Der Grundstamm von Midnight Eternal, bestehend aus Boris Zaks (Keys), Richard Fischer (Gitarre) und Daniel Prestup (Drums), hat dem Baby dann den schönen Namen Everdawn verpasst. Am Bass ist Mike LePond (u.a. Symphony X) wieder zurückgekehrt. Dieser war ganz zu Beginn, noch vor Erscheinen des selbst betitelten Midnight Eternal – Debüts, für kurze Zeit schon mal dabei. Fürs Mikro ist den, in New Jersey basierten Everdawn, ein echter Glücksgriff gelungen. Alina Gavrilenko ist eine klassisch ausgebildete Sängerin mit russischen Wurzeln, die aber schon lange Jahre in Kanada beheimatet ist. In dieser Top-Besetzung haben sich die 5 Musiker nun auch daran gemacht, die Kompositionen für „Cleopatra“ fertigzustellen. Ursprünglich war ein Release bereits für letztes Jahr geplant aber auch hier kam es, vermutlich Corona bedingt, zu ein paar Verzögerungen. Anfang Februar dieses Jahres war es dann endlich soweit, „Cleopatra“ was born! Das Songwriting ist bei den US-Amerikanern Gemeinschaftsarbeit, wobei aber Boris Zaks den Löwenanteil zu verantworten hat. Die Lyrics stammen zum Teil ebenfalls aus seiner Feder, allerdings mit tatkräftiger Unterstützung von Alina Gavrilenko. Diese war übrigens auch die kreative Kraft bei der Erstellung des Booklet Designs. Alleine dafür gibt es schon Bestnoten. Den finalen Schliff hat Dan Swanö übernommen, der ja auch beileibe kein Unbekannter in der Szene ist, sowohl als Musiker, wie auch als Produzent. Musikalisch gehen Everdawn ihren Weg, den sie seiner Zeit mit Midnight Eternal begonnen hatten, konsequent weiter. Der Hörer bekommt einen tollen Mix aus Melodic-/Symphonic- und Power-Metal zu hören. In dem einen oder anderen Riff ist auch deutlich, die alte Schule des klassischen 80er-Jahre Heavy Metal heraus zu hören. Die Gitarren-Arbeit spielt auf „Cleopatra“ überhaupt, eine sehr dominante Rolle. Es gibt viele ausgedehnte Soli und eine ganze Menge tolle Riffs. Wie schon früher, so ist auch hier beim neuen Album, klar erkennbar, dass man versucht hat, die klassischen Arrangements eher in den Hintergrund zu stellen. Auch das Keyboard ist immer songdienlich und steht nur selten im Vordergrund. Das ist schon ein deutliches Unterscheidungsmerkmal zu vielen anderen Bands des Genres, weswegen ja grad beim Symphonic-Metal gerne mal Kritik geübt wird. Diese ist bei Everdawn gänzlich unangebracht. Da steckt noch richtig viel Heavy Metal drin.

So geht es dann auch mit sehr viel Power los. „Ghost Shadow Requiem“ ist wegweisend für dieses Meisterwerk. Druckvolle Drums von Dan Prestup, knackige Riffs von Richard Fischer und Alina Gavrilenko zeigt vom ersten Moment an, was sie für ein unglaubliches Repertoire hat. Von sanft und zerbrechlich, bis hin zum stimmgewaltigen, klassischen Sopran, hat die junge Lady alles im Angebot. „Stranded In Bangalore“ ist ein phänomenaler Melodic-Metal-Hit. Bombastisch arrangiert aber nicht überladen. Ein stimmungsvolles Lied mit einer überragenden Vocalline. Ein Hauch von orientalischem Flair kommt dann beim Titel-Song auf. Für mich als großer Ägypten-Fan, ist ein Stück wie „Cleopatra“ natürlich ein gefundenes Fressen, wie man so schön sagt. Tolle Dramaturgie, starke Lyrics, filigrane Gitarrenarbeit, nebst einem super Solo. Über allem thront die hübsche Alina, mit ihrer engelsgleichen Stimme. Zur Krönung von „Cleopatra“ gibt es dann auch noch ein bombastisches Finale. Das hat definitiv die Qualität der Nightwish-Classics aus den Anfangsjahren! Top!! Hier nun ein kurzer Hinweis, damit keiner durcheinander kommt. Ich beschreibe die nächsten beiden Stücke in der Reihenfolge, wie sie digital zu haben sind und auch auf der Rückseite des Albums stehen. Wer sich allerdings die CD besorgt oder hoffentlich schon besorgt hat, wird feststellen, dass dort die Titel 4 und 5 vertauscht sind. Vielleicht war das ja auch ein Test für die Musik-Journalisten, ob wir auch alle aufmerksam zuhören. OK, Test bestanden. Machen wir also nun mit „Your Majesty Sadness“ weiter. Ein rhythmischer Song, mit wunderbaren Orchester-Arrangements. Alina startet mit sanfter und tiefer Stimme, um dann aber in der Folge, ihre ganze Vocal-Range zu offenbaren. Ihr zur Seite steht bei diesem Top-Album-Highlight, niemand Geringeres, als Thomas Vikström von Therion. Die beiden Stimmen harmonieren sensationell. Jeder hat seinen Part, den leicht verträumten Refrain, singen die beiden dann Zweistimmig. Der druckvolle, instrumentale Background hebt diesen Song dann auf das aller höchste Niveau! „Infinity Divine“ ist ein weiteres Symphonic-Metal-Meisterstück. Eine Hymne der Extra-Klasse. Nach getragenem Beginn mit feinen Streicher-Arrangements, gibt es wunderbare Temposteigerungen, mit einer ordentlichen Portion Double-Bass, die das Stück voran treiben. Und dann hört euch mal noch Alina an, wirklich ganz große Klasse! „Pariah’s Revenge“ ist eine teils recht flotte Nummer. Nicht nur wegen Richard Fischer‘s Power-Riffing, Mike LePond’s überragenden Bass-Läufen und Dan Prestup‘s kraftvollem Schlagzeug-Spiel. Nein, auch Boris Zaks zeigt hier, was er für flinke Finger hat. Um das ganze etwas aufzulockern, wurden immer wieder Tempowechsel mit eingebaut. Ein sehr facettenreiches Lied mit Hit-Charakter. Noch mehr Speed gibt es bei „Lucid Dream“. Nach verhaltenem Start, wird aus dem Stück ein echter Neckbreaker. Alina spielt großartig mit ihrer Stimme und Boris Zaks steuert ein fantastisches Keyboard-Solo bei. Das folgende „Heart Of A Lion“ ist einer meiner absoluten Lieblingsstücke auf diesem Album. Richard Fischer mit fantastischem Gitarre-Spiel, mal mit einem Riff, mal mit filigranem Solo, unterstützt von Mike LePond am Bass. Alina mit eindringlicher Stimme und einem wunderbaren Refrain. Ich freue mich jetzt schon darauf, diesen Titel live zu erleben. „Toledo 712 A.D.“ ist eines der stärksten Instrumental-Stücke, das ich kenne. An mancher Stelle erinnert es etwas an Stratovarius, gelegentlich kommen auch ein paar progressive Momente durch. Echt cool. „Rider Of The Storm“ ist ein mitreißender Song. Das überragende Zusammenspiel zwischen Schlagzeug und Gitarre/Bass lässt das Stück richtig schön dahin galoppieren. Hier tauchen dann auch ein paar Elemente des klassischen 80er-Jahre Heavy Metal auf. Alina Gavrilenko zeigt hier die warme und sanfte Seite ihrer Stimme in Perfektion. Das macht sehr viel Freude! „The Last Eden“ ist dann leider schon der letzte Song. Nach langem instrumentalen Intro, wird daraus ein rhythmischer Midtempo-Rocker, allerdings mit einem gewaltigen Break im Mittelteil. Inhaltlich ein sehr tiefgehender, nachdenklicher und mahnender Song, mit großem Bezug zur Realität. Nicht umsonst kommt Alina’s Stimme fast schon anklagend rüber aber auch mit einem melancholischen Unterton. Ein würdiger Abschluss eines fantastischen Albums. Die Wiedergeburt ist eindeutig gelungen!

Herzlichen Glückwunsch an die Musiker von Everdawn. „Cleopatra“ ist ein herausragender Neubeginn, der den Weg für weitere, großartige Alben frei machen sollte. Für alle Fans in Europa noch folgender Hinweis: Everdawn überqueren Anfang 2022 den Atlantik und spielen (wieder) einige Shows, zusammen mit Imperial Age! Ich freue mich schon sehr darauf. Wollen wir hoffen, dass sich die Corona-Lage, bis dahin, positiv weiter entwickelt. In diesem Sinne, „Let’s get rocked, not infected!“

Band

Alina Gavrilenko (Gesang)
Richard Fischer (Gitarre)
Boris Zaks (Keyboard)
Mike LePond (Bass)
Daniel Prestup (Schlagzeug)

Titel

  1. Ghost Shadow Requiem
  2. Stranded In Bangalore
  3. Cleopatra
  4. Your Majesty Sadness
  5. Infinity Divine
  6. Pariah’s Revenge
  7. Lucid Dream
  8. Heart Of A Lion
  9. Toledo 712 A.D.
  10. Rider Of The Storm
  11. The Last Eden
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